Donnerstag, 7. Januar 2016

Köln Silvesternacht - Ein Kommentar

Eine Woche ist nach den Ereignissen in Köln vergangen. Anstatt heute zu reflektieren, wie uns Paris verändert und sensibilisiert hat, beschäftigen wir uns an dem Jahrestag der Charlie Hebdo Ereignisse mit ganz anderen Fragen. Grundsatzfragen. Integration und Kriminalität bei Ausländern. Wie sollen wir deutsche Willkommenskultur und fremde Kulturen von Flüchtlingen vereinbaren? Auf einmal macht ehemalige Pegida Hetze Schlagzeilen, weil sie sich bewahrheitet haben soll. Ihre Befürworter vertiefen die geschlagene Kerbe und laufen zu Hochtouren in den Kommentarbereichen auf. Nach Ausweisung wird gerufen. Oder besser noch, Kastration.

Alles das, weil dutzende Frauen beraubt und sexuell belästigt wurden. Sexuelle Misshandlung und sogar zu mindestens einer Vergewaltigung soll es gekommen sein. Über sexualisierte Gewalt wird berichtet. Weil die Ausländer diese mitgebracht hätten und ihre Triebe nicht im Griff hätten. Diese Barbaren. Das vor dem Kölner Wahrzeichen, in der Mitte der Stadt. In der Mitte der Gesellschaft. Nun kann man ja gar nicht wegsehen. 

Oder kann man doch? In den Medien und viel besagten Kommentaren geht es um Hautfarben und Herkunft der Täter. Wie lange sie schon in Deutschland seien und welche Papiere sie dabei gehabt hätten. Doch wer sind die Opfer? An wen können sich diese wenden? Gibt es ausreichend Seelsorger bei der Polizei? Dieser Staatsapparat Polizei, der mal abgebaut und mal aufgebaut werden soll, je nachdem was die schwarze Null oder aber die Aufregung im Volk sagt. Da auch noch Opferhilfe, Seelsorge oder gar Prävention zu verlangen? Undenkbar. Es geht um die Schuldfrage, ausgefochten zwischen Polizei und Politik. Die einen hätten einfach machtlos weggesehen, die anderen seien zu menschlich zu Fremden gewesen und hätten damit die Frauenverachter ins Land gelassen. Diese Barbaren. 

Frauen aber wissen, dass unser Geschlecht Gewalt anzieht. Sexualisierte Gewalt. Aus Gesprächen mit Freunden weiß ich, dass Männer es nicht immer so meinen. Einem nichts böses wollen. Es als Kompliment gemeint ist oder als Anmache. Völlig ok, oder nicht? "Stell dich nicht so an, wer solche Kurven hat, der muss doch damit rechnen, auch mal angeschaut zu werden". 

Was in Köln passiert ist, passiert jeden Tag, überall. Die Frage ist nur, wie gehen wir damit um? Wenn es nur Flüchtlinge oder Menschen mit Migrationshintergrund wären, die Frauen als schwach und Objekt ihrer Triebe beachten, dann müsste man dem im Rahmen der Integration unsere Werte und ein Verhalten frei von Diskriminierung entgegen setzen. Die Gesetze im Falle des Verletzens im angemessenen Rahmen anwenden und im schlimmsten Fall die Menschen ausweisen. Aber wie wäre es damit: Man(n) könnte mit gutem Beispiel voran gehen. Es ist bei weitem nicht jeder Flüchtling ein Vergewaltiger und Frauenverachter, auch wenn Pegida und AfD gerne etwas anderes behaupten. Denn wenn dem so wäre, säße kein Deutscher wegen sexuellen Missbrauchs im Gefängnis. 

Seit Jahren wurden mir Verhaltensregeln auferlegt. Komm nach Hause, wenn es dunkel wird. Fahr nach 23 Uhr nicht alleine mit der Bahn. Wer soll dir denn helfen, wenn was passiert und die Betrunkenen dich anmachen? Lass dich nach Hause begleiten. Oder nein, wir holen dich lieber ab. 
Du fährst in den Urlaub? Hier, dein erstes Pfefferspray. Mama, ich fahre mit meinen Freundinnen. Egal, wenn da drei oder vier Männer euch von der Disco abfangen wollen, seid ihr auf euch gestellt, also nimm es lieber mit! Ist gut, Mama. 
Du fährst mit einer Mitfahrgelegenheit und da ist sonst kein Mitfahrer? Schick uns das Nummernschild und ruf an, wenn du da bist. 

Ich hatte alle Freiheiten, die ich mir hätte wünschen können. Aber immer mit den Warnungen meiner Eltern im Ohr und deshalb das Gefühl, dass es Grenzen gibt, die ich umgehen kann. Nach meinem Auszug und Beginn des Studiums reiste ich viel. 
Studierte in einer fremden Stadt, lernte neue Leute kennen und erkundete mit einem Rucksack Europa. 
Vergaß dabei nicht, was meine Eltern mich lehrten. Ich stellte nur fest, dass es einen guten Grund für viele Warnungen gab. Und die Welt wurde auf einmal wieder kleiner. 

Baustelle und ein enger Gehweg? Da steigt man vom Fahrrad und schiebt, denn es kommt ein älterer Herr entgegen. Der fasst grinsend an meine Brüste. Ruft noch etwas freches, worauf ich perplex und erst nach ein paar Augenblicken eine Beleidigung erwidere. Und dann? Dreht man um und ohrfeigt den Mann? Ruft man die Polizei? Die Freunde sind gespalten, die Männer lachen "so will ich später auch sein" - die Frauen nicht. Ich umgehe die Strecke wochenlang. 

In der Disco. Unzählige Male. Unzählige Griffe an den Po und an andere Stellen. Manchmal soll es am Gedränge liegen, manchmal folgt darauf die Frage "Hey, willst du tanzen?". Ich antworte nicht, drehe mich weg, sage schließlich "Lass mich in Ruhe, fass mich nicht noch mal an" . Manche bleiben penetrant, grabschen immer wieder, belästigen noch andere Frauen in Reichweite. Dann passiert es mal, dass ein Freund genug hat, den Grabscher mit Worten einschüchtert, als ultima ratio drohend die Faust hebt. Dann geht der andere. "Man hast Du es gut, bekommst alles ausgegeben, wenn Du es nur wolltest und dann die ganze Aufmerksamkeit... Frauen halt.". Dass mein Nein, meine Selbstbestimmung über meinen Körper nicht akzeptiert wird, solange nicht ein anderer Mann für mich spricht, wird übersehen.  

Im Urlaub, alleine. Die falsche Abzweigung genommen, Hostel nicht gefunden. Es ist schon dunkel, ich hab kein Internet und spreche die Sprache nicht. Mehrere Männer kommen die Straße runter, kreisen mich ein, sagen Dinge und bringen mich zum weinen. Wollen mich anfassen. Ein Paar kommt auf der anderen Straßenseite. Erfasst sofort die Situation und bringt mich in Sicherheit. Das Hostel war nur eine Querstraße weiter. 

Erfahrungen wie diese haben mich meine eigenen Regeln aufstellen lassen. Ich fahre ungern mit der Straßenbahn, in welcher ich schon mal belästigt wurde. Ich habe immer mein Pfefferspray dabei und fühle mich mittlerweile ohne schutzlos. Habe Zweifel, wieder alleine die Welt zu bereisen, weil ich nun das Gefühl habe, mein Glück verbraucht zu haben bzw., dass mein Schutzengel nach den ganzen Überstunden den Job an den Nagel gehängt hat. 
Die Nachrichten werden neu sortiert und abgespeichert. Mit einem Feldweg, der zu Freunden führt, wird ein sexueller Missbrauch assoziiert, der dort stattgefunden hat. Meiden wir den nachts lieber. Abends in dem Park am Fluss joggen gehen? Da kann man auch gleich das Schicksal herausfordern, schließlich ist es dort zu einer Vergewaltigung gekommen. 

Dabei handelt es sich jedoch nur um meine Grenzen. Dinge, die ich nicht mehr unbefangen tun kann, obwohl ich Kampfsport betrieben habe und mich zu verteidigen weiß. Die Gesellschaft baut währenddessen munter an allgemeinen Mauern für Frauen. Eben jene Hetzer, die nun die Flüchtlinge verteufeln, sind in allen anderen Fällen der sexualisierten Gewalt die ersten, die den Frauen die Schuld geben. Eine Kostprobe? Nur um die Erinnerung aufzufrischen, hier ein paar Klassiker: "Wer sich so anzieht, hat es doch selbst provoziert. Wenn die 14 jährigen sich so schminken und aussehen wie 20, brauchen die sich nicht zu wundern, wenn die Männer da mal ran wollen! Über die ist doch jeder schon mal rüber, die will ihm jetzt nur eins auswischen. Als Frau Vergewaltigung zu rufen, ist doch auch Standard. Was läuft man auch als Frau um die Uhrzeit alleine in der Gegend rum, hätte sie doch wissen müssen."

Um Verwirrung zu vermeiden, dies ist direkt an Menschen adressiert, die so einen Schmutz abgeben: Ihr seid das allerletzte und ein wichtiger Grund, warum es bei einem Delikt wie sexuellem Missbrauch immens hohe Dunkelziffern gibt. Ihr habt noch nie erfahren, was es heißt, wie ein Objekt behandelt zu werden, dessen Gefühle und Selbstbestimmung mit Füßen getreten werden. Außerdem vermittelt euer respektloses Verhalten nach außen hin, dass Frauen auch nach dem Delikt des Missbrauchs weiterem Mobbing und Misstrauen ausgesetzt sind und das normal sei. Was wiederum jene bestätigt, die womöglich von zu Hause oder aus ihrer Kultur die Frau als minderwertigen Menschen kennen. Menschen, denen ihr keinen Grund zum Umdenken bietet. Wenn ihr deshalb beklagt, dass Flüchtlinge angeblich Frauen respektlos behandeln würden, kann ich euch nur entgegnen: Ihr seid nicht anders. 

Wer mir sagt, dass ich Missbrauch provoziere, wenn ich bestimmte Kleidung trage, zu bestimmten Urzeiten gewisse Orte zu meiden habe oder mein make up und Ausschnitt zu sexueller Belästigung führe, der wählt den einfachen Weg. Der unbequeme lautet: Wir sind noch lange nicht in einer Gesellschaft angekommen, in der ein vernünftiger Umgang mit sexueller Gewalt gegen Frauen gefunden wurde. Doch sind wir es, die sich anmaßen, andere Kulturen und Religionen für ihre Frauenfeindlichkeit zu kritisieren oder gleich die Burka verbieten zu wollen. Weil wir es angeblich so viel besser wissen. 

Was ist die Konsequenz? Solange Frauen Regeln und Verhaltensweisen zu ihrem Schutz auferlegt werden, muss an diesem Problem gearbeitet und nicht eine Armlänge Abstand genommen werden. 

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