Freitag, 22. Juli 2016

Being Human - Münchner Attentat

Paris, Istanbul, Brüssel, Paris, München. Auf einmal München. Mein MÜNCHEN. Für kurze Zeit mein zu Hause, seit dem vielleicht das Ziel auf lange Sicht, der Ort an dem ich mir eine Zukunft vorstellen konnte. Konnte? Kann. Können muss. Was sonst sagen, was sonst schreiben?

22.07.2016

Ich mache den Haushalt. Das Handy außerhalb der Reichweite, erst um halb zehn erfahre ich von Schüssen in München. Toten in München. Es ist wie damals von dem Attentat in Paris, von Charlie Hebdo zu erfahren, nur schlimmer. Ein Schlag in die Magengrube. Zu Hause. Wie geht es Freunden vor Ort, wer hat den Safety Check von Facebook verwendet? Wissen es schon andere, weiß es die Familie? Wie reagieren andere, wie reagiere ich?

Fragen, auf die es noch keine Antworten gibt, denn zum ersten Mal gibt es für mich die echte Wahrscheinlichkeit, dass jemand getötet wurde, den ich kenne. Den ich gern habe. Der Fernseher wird eingeschaltet, zum wiederholten Mal in den letzten Wochen suche ich aktiv nach der Tagesschau. Nizza, Würzburg, auf einmal München.

Seit Paris war da dieses dumpfe Gefühl. Dann die Ungewissheit in Hannover, doch die kurzen Zweifel, auf den Weihnachtsmarkt zu gehen, waren schnell beiseite gewischt.  Frankreich wird immer wieder getroffen, die Euphorie und die Freude der EM waren ein viel zu kurzes Aufatmen. Plötzlich Nizza, vor Jahren noch ein Zwischenstopp auf meiner Urlaubsreise. Die Strandpromenade kenne ich. Doch macht man weiter, denn der Alltag ruft. Trauern um Menschen, die man nicht kennt? Wie viele meiner Freunde sehen mich verständnislos an, wenn ich sie frage, ob sie sich nicht betroffen fühlen. "Schlimme Sache, jaja. Aber ich bin ja nicht persönlich tangiert". Also ticke ich falsch? Muss aber schließlich auch weitermachen, lernen, studieren, leben. Nichtsdestotrotz einfach dieses Gefühl, dass sich etwas nähert. Auf einmal ist es dann da.

Wir haben die sich nun anbahnenden  Diskussionen schon alle geführt, in Beileidsbekundungen für unsere Freunde, die schon vorher getroffen wurden. Frankreich, Türkei, Belgien. Die AfD stellt in Frage, wie man eine solche Flüchtlingspolitik betreiben konnte, ohne dabei etwas über die Hintergründe der Täter zu wissen. Die Gegenstimmen, die sofort verlauten lassen, dass es Einzeltäter sind, die nicht eine Weltreligion repräsentieren können und dürfen. Wasser auf die Mühlen derjenigen, die hetzen wollen, die darin eine Verachtung der Opfer wittern. Doch wer denkt wirklich an die Opfer außer den Angehörigen und Nahestehenden? Wenn jedem Beileid ein poltisches Statement beiwohnt, wie viel des Beileids gilt dann noch jenen, die gestorben sind? Gibt es noch unpolitisches Trauern, in einer Zeit in der man entweder Hetzer oder Gutmensch ist? Doch ist es wichtig in der Trauer nicht zu vergessen, was München und die Verstorbenen zum Ziel gemacht hat.

Eine Nation besinnt sich auf sich selbst, "muss jetzt an sich denken". Nimmt stumm nickend die Beileidsbekundungen der anderen Staatsoberhäupter an. Aber rücken wir als Menschen zusammen? Fangen wir nicht viel mehr jetzt schon an, nur wenige Stunden später, uns in Streitigkeiten zu zermürben und in die Hände derer zu spielen, die womöglich gar keinen so weiten Arm hierher haben? Wir wissen so wenig, streiten noch mehr und vergessen, dass Menschen gestorben sind, weil sie dem banalsten der Dinge nachgegangen sind. Sie waren einkaufen und konsumieren. Sie sind gestorben, weil die Täter mit ihrer Lebensweise und damit unserer Gesellschaft nicht konform waren. Die Opfer lebten in einer Demokratie, einem Rechtsstaat. Das war ihr Todesurteil.

Unabhängig davon, welchen Hintergrund die Täter hatten, ob radikal religiös oder rechts motiviert, in jedem Fall war die Demokratie und die Gesellschaft das wahre Ziel der Täter. Durch Radikalisieren von politischen Äußerungen, Verschärfen der Sicherheitsmaßnahmen, Begrenzen der Freiheit und am schlimmsten, dem Dämonisieren unserer Mitmenschen, schüren wir Angst und Misstrauen. Damit untergraben wir die Werte, die unsere Gesellschaft so weit gebracht haben. Wir reagieren so, wie von den Tätern gewünscht. Wir Marionetten.

Wir vergessen, dass diese schrecklichen Geschehnisse nicht nur von uns getragen werden müssen. Die Errungeschaft einer freien Demokratie teilen wir mit anderen Staaten der Welt, insbesondere leben wir in einer Wertegemeinschaft, die krisengeschüttelt um ihre Bedeutung ringt. Der Tod der Menschen in München ist ein Angriff auf die Bundesrepublik, auf die Grundwerte der Demokratie und auf die der westlichen Gemeinschaft. Wenn wir es schaffen, uns nicht zu isolieren, sondern gemeinsam für unsere Werte einzustehen, ohne uns in Panikreaktionen zu verrennen, können wir den notwendigen Widerstand gegen jene leisten, die uns von innen heraus zu Fall bringen wollen. Dafür dürfen wir den Blick für das Weltgeschehen nicht verlieren, müssen an der Europäischen Union festhalten und den internationalen Beziehungen mehr als nur wirtschaftlichen Wert beimessen.

Heißt das, dass wir nicht für uns trauern dürfen? Dass wir die Opfer vergessen und nur in globalen Maßstäben denken dürfen? Es kann so etwas nicht heißen, weil jeder für sich den richtigen Umgang wählen muss, um das Ereignis zu verarbeiten und einzuordnen. Doch müssen wir uns auf unsere Gemeinsamkeiten besinnen und näher zusammen rücken, unseren Mitmenschen beistehen, anstatt Hasskommentare in sozialen Netzwerken zu verbreiten, um das zu bewahren, was andere, gleich ihrer Motivation, angreifen. Unsere Gesellschaft und ihre Werte.

Ich kann mir nicht anmaßen nachzuvollziehen, was jene durchstehen, die heute einen geliebten Menschen verloren haben. Doch bei allen Handlungen, die auf den heutigen Ereignissen beruhen, dürfen wir eines nicht aus dem Blick verlieren: Wir müssen den Angehörigen jede Stütze sein, die sie brauchen und zeigen, dass der unfassbare Verlust, den sie erlitten haben, nicht bloß ein Spielball politischer Meinungsmache wird.
Stehen wir jenen bei, deren Angehörige heute sinnlos aus dem Leben gerissen wurden.

Eure Curlina

English translation coming soon.